Seven Ages
Der Komponist Kiril Richter und der Choreograph Marco Goecke haben für das Stück „Seven Ages“ in Anlehnung an die sieben Lebensalter des Menschen nach Shakespears erneut zusammengefunden. Nachdem der Schauplatz für ihre letzte Zusammenarbeit ein entkerntes, vor dem Abriss stehendes Hotel war, konnte mit dem Red Tower ein noch einzigartigerer Ort gefunden werden, dessen Tage ebenfalls gezählt sind. Die Zeit und die Vergänglichkeit sind Themen, die beide Künstler unabhängig von einander immer wieder beschäftigen und von dort ist es nicht weit zur Frage nach dem Sinn des Lebens.
Richter hat eine siebenteilige Suite für Klavier, Violine und Cello komponiert, eine Musik, deren Klänge diesen existenziellen Themen durchaus auch einen ironischen Unterton geben, in der Annahme, dass dies auch Shakespeares Absicht gewesen sein könnte; eine symbolträchtige Musik, die als zyklische Komposition aufgebaut ist. Goeckes einzigartige Bewegungssprache – oft schnell und nervös, mal flatternd mal zuckend, dabei stets höchst präzise und emotionsgeladen – orientiert sich an Richters musikalischer Struktur; das bedeutet aber nicht, dass die Musik Schritt für Schritt in Bewegung umgesetzt würde, vielmehr bilden Musik und Tanz eine Synthese. Die Tänzerin Anne Jung ist für diesen Solotanzabend nicht nur wegen ihres technischen Könnens, sondern vor allem auch wegen ihrer dramatischen und theatralen Ausdrucksfähigkeit die ideale Besetzung.
In Anlehnung an Shakespeare ist Kirill Richters “Seven Ages” das musikalische Bestreben eines Komponisten, die Vergeblichkeit des Platzes der Menschheit in der Welt zu verstehen. In seinen Werken (“Chronos” 2016, “Faith of our Fathers” 2017, “Russian Requiem” 2019) beschäftigt sich der Komponist häufig mit Themen wie Zeit, Erinnerung und dem Sinn des Lebens. Diese siebenteilige Suite für Klavier, Violine und Cello bildet da keine Ausnahme. Sie drängt ihre Zuhörer dazu, einige unbequeme Fragen über den freien Willen oder das Fehlen desselben und die lenkende Kraft des Schicksals zu stellen, die uns alle zu bloßen Schauspielern macht, die in unserem Streben, dem Leben einen Sinn zu geben, nur einem Drehbuch folgen. Es führt auch zum Nachdenken über die Kürze, die zyklische Ähnlichkeit und doch Einzigartigkeit eines jeden einzelnen Lebens.
Der Komponist versucht jedoch, all diese schwerwiegenden Themen in einem ironischen Tonfall zum Ausdruck zu bringen, in der Annahme, dass Shakespeare das Gleiche gewollt hätte. Die Musik ist voll von Symbolen wie dem Schaukeln der Wiege (am Anfang wiegt die Mutter das Kind in den Schlaf, und am Ende schläfert der Tod den Älteren ein), dem Gesang des Kuckucks, dem Läuten des Zeigers der Uhr, der unsere Zeit misst. Das Stück ist um eine ringförmige Komposition herum aufgebaut, so wie Shakespeare die Kindheit auf das Alter und die Kindheit auf den Tod reimt, so enthalten die gegensätzlichen Teile Variationen voneinander.
Als weitere kraftvolle Ebene der existenziellen Reflexion hat der legendäre deutsche Choreograf Marco Goecke ein Soloballett zu Richters Musik geschaffen, das im Roten Turm aufgeführt wird. Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Choreograf Shakespeare-Themen zuwendet: Eines seiner ersten Werke: Der Rest ist Schweigen (Hamlets letzte Worte) zeigte perfekt seinen unverkennbaren Stil: ein akribisch getimtes und artikuliertes Zittern, Flattern, Dribbeln, Kritzeln und Zappeln, vor allem des Oberkörpers, ausgeführt in einem nervösen Tempo und einer sublimen Richtung von Auf- und Abstieg.
Ich persönlich halte Marcos Arbeit für das Beste, was dieser Musik in ihrer choreografischen Inkarnation passieren konnte. Seine Welt, sein Stil, seine Körpersprache handelt für mich vom Tod, aber auch von der Liebe, von neurotischer Vitalität, aber auch von Ruhe, von Ängsten, Träumen – kurz gesagt, von allem, was den Menschen ausmacht” – so Kirill Richter.
Daten
UA 03.03.2023 Red Tower Julierpass, Schweiz
Fotos
< Zurück Zur Übersicht Weiter >