Le Sacre du Printemps
Lange hat sich Scholz, bekennt er in einem Interview freimütig, vor „seinem“ Sacre gedrückt. Im Doppelpack und gewissermaßen mit gesteigertem Risiko holte er das gegen Ende seines Lebens nach: Der bekannten Orchesterversion (1912/13, revidiert 1947) für den zweiten Teil (musiziert vom Gewandhausorchester) setzte er, als ins Persönliche verkürzte Fassung, die seltener gespielte Transkription für Klavier vierhändig (1913) für den ersten Teil (mit Wolfgang Manz und Rolf Plagge als Pianisten) voran. Vom Opfergang erzählen beide Kompositionen, die musikalischen wie die choreografischen, „einen Mikro- und einen Makrokosmos“ habe Scholz laut eigener Aussage im Programmheft damit gestalten wollen, einen „Versuch, Menschen die Erde wieder riechen zu lassen“. Stark assoziativ geriet im ersten Teil das Geflecht aus überdimensionalem Videobild und dem menschenklein dagegen ankämpfenden Solisten. Um dessen persönliche Erfahrungen mochte es dabei gehen, ein wenig um Nijinsky und den Künstler an sich, am meisten aber um Scholz selbst. „Leipzig“ tauchte stets als Schriftzug auf, wenn der Tänzer angsterfüllt das vergitterte Fenster im „Gefängnis“ Theater aufreißt.
Im zweiten Teil sucht sich Scholz seinen übermächtigen choreografischen Vorgängern entgegenzuwerfen, zitiert Maurice Béjarts berühmte „Blume“ aus Tänzerkörpern. Das Wort von der „riechenden Erde“ erinnert zumindest an Pina Bauschs Sacre. Die musikalische Wucht beantwortet der Choreograf bisweilen demonstrativ mit einem Standbild. Eine Momentaufnahme menschlicher Ängste bietet die Leipziger Orchesterversion auch im zynischen Auswahlverfahren des Opfers. Schulterfreie Ganztrikots für die Damen, knappe Slips in Gelb- und Erdtönen für die Herren hatte Kostümbildner Scholz entworfen.
Daten
Musik/music: Igor Strawinsky, Le Sacre du Printemps (Sacre I: Fassung für zwei Klaviere/version for two pianos; Sacre II: Orchesterfassung/orchestra version)
UA/world premiere: 22. November 2003, Leipziger Ballett
Länge/duration: (I) 34 Min.; (II) 40 Min.
Gesamtzahl der Tänzer/total number of dancers: (I) 1; (II) 40 und Ballettschule der Oper Leipzig/40 and ballet school of the Leipzig Opera
Rollen/characters: (I) 1 Solist/1 male soloist; (II) 1 Solistin/1 female soloist; weitere Soloparts/further solo parts, Corps de Ballet
Tänzer der UA/original cast: (I) Giovanni Di Palma; (II) Kiyoko Kimura
Bühne und Kostüme/stage and costume design: Uwe Scholz