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Cayetano Soto probt für "Carmen" in Dortmund

“50 Grad, sengende Hitze und der Stier steht direkt hinter dir!“. Es geht heiß her in den Proben von Cayetano Soto. Die Allegorien, mit deren Hilfe der Choreograph den Tänzerinnen und Tänzern Szenen aus seinem neuen Carmen-Ballett erklärt, sind oftmals sehr konkrete sprachliche Bilder. Das Resultat ist rasch sichtbar: Von den Körpern der Tänzer rinnt der Schweiß. Alle kämpfen seit einer halben Stunde mit einer kurzen Szene. Technisch nicht machbar schien die komplizierte Reihenfolge akrobatischer Hebungen, Wendungen und Verschlingungen beim ersten Versuch, aber schon wenig später sieht man, dass sich das wiederholte „Probiert es noch mal“, „Probiert es einmal so“ gelohnt hat.

Nachdem Carmen und Don José ihren Pas de Deux geübt haben, betritt die Gruppe den Saal: Männer und Frauen tragen bodenlange schwarze Röcke mit Schleppe, die, wäre sie weiß, an das Hochzeitskleid von Lady Diana erinnern würde. 140 Meter Stoff, 20 Meter pro Kleid, rechnet die Kostümschneiderin vor. Die Entwürfe stammen aus der Haute Couture: Die Münchner Modedesigner TalbotRunhof haben sich mit „Carmen“ in neue Gefilde gewagt, es ist ihre erste Produktion für den Tanz. Sie haben sich genau überlegt, welche Stoffe und Accessoires zu den verschiedenen Charakteren passen und wie die Kostüme geschnitten sein müssen, damit genügend Bewegungsfreiheit bleibt. Obwohl der Stoff für die schwarzen Kleider extrem stabil ist, hängen nach der ersten Probe aus drei Kleidern große Fetzen, es klaffen meterlange Risse. Aber das war eben nur der erste Versuch; die Tänzer müssen erst lernen, wie sie mit der großen Menge an Stoff umgehen.

Musikalisch basiert die Carmen-Produktion von Cayetano Soto auf der von Rodion Shchedrin 1967 für das Bolschoi-Ballett komponierten „Carmen-Suite“. Ähnlich wie Bizets Opernmusik – von der Shchedrin die zentralen musikalischen Motive übernommen hat – evoziert auch seine Komposition die Atmosphäre Spaniens und macht stets den Eindruck, als wolle sie die Hörer mit spanischen Souvenirs erfreuen. In Wirklichkeit jedoch haben weder Bizets „Carmen“ noch Shchedrins „Suite“ allzu viel mit originaler spanischer Musik zu tun. Es ist dem seit dreizehn Jahren in München lebenden Katalanen Soto freilich nicht darum zu tun, dieses verlorene Original wiederherzustellen. Vielmehr verstärkt er die Spannung zwischen dem stets flüchtigen ursprünglich ‚Spanischen’ und seinen nie authentischen Rezeptionsformen, indem er die russische Bizet-Adaption mit – diesmal echten – Geräuschen aus einer Flamencoprobe sowie mit Chansons des 20. Jahrhunderts vermischt. Er ist eigens nach Madrid geflogen, um den Proben des Ballet Nacional de Espana beizuwohnen. Was er dort von einigen der besten Flamencotänzer der Welt zu sehen und zu hören bekam, hat seine Erwartungen bei weitem übertroffen. Mit einem Tonband hat er das mitreißende Klatschen, Stampfen, Klappern der Madrider Compagnie aufgenommen. Von der tänzerischen Seite her hat der Flamenco auf Sotos choreographischen Stil allerdings nur einen sehr begrenzten Einfluss. Seine Bewegungssprache hat eine klassische Basis, wird aber häufig von geflexten und einwärts gedrehten Füßen und von wellenförmigen Bewegungen der Oberkörper modifiziert. Sotos Tänzerinnen und Tänzer benötigen ein ausgesprochen hohes technisches Niveau.

Die Handlung dieses Carmen-Balletts orientiert sich weniger an Bizets Oper, sondern greift direkt auf die Novelle von Prosper Mérimée zurück. Zum Beispiel gibt es die bei Bizet als zweite weibliche Rolle eingeführte Figur der Michaela hier nicht. Dafür kommt der für die Struktur der Novelle außerordentlich wichtige Erzähler der Rahmenhandlung mehrfach ins Spiel, der neben Carmen, Don José und dem Torero zu den Hauptfiguren gehört. Don José, aus dessen Mund der Erzähler das tragische Ende der Liebesgeschichte vernimmt, wurde wegen Carmen vom biederen Soldaten zum gefürchteten Räuber, der, als er am Ende Carmens Leben auslöscht, das Morden bereits gut gelernt hat. Carmen selbst ist eine Naturgewalt, lachend, aber auch dämonisch, eine Spielerin, aber auch eine Zerstörerin. Schicksalsglaube, Orakelzauber und Härte, der düstere Untergrund ihres Gemüts, werden durch ihre spontanen, humorvollen und pragmatischen Aktionen immer wieder überspielt. Sie ist treu und untreu zugleich: untreu dem Geliebten Don José, treu ihren eigenen Prinzipien und ihrem Verlangen nach Freiheit.

Nadja Kadel

Auf dem Foto: Rosa Ana Chanza Hernandez
Foto von Bettina Stoess

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(22.09.2009)

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