Identità – Pellegrinaggio all‘ amore: Ein Tanztheater von Yvonne Pouget
Identità – Pellegrinaggio all‘ amore (Identität – Wallfahrt für die Liebe):
Premiere: 29. Oktober 2009, 20:30 Uhr im I-camp Muenchen
Eine Auseinandersetzung mit der Weitergabe von Kriegstraumata an die nächsten Generationen in Form eines rituellen Theaterlabors.
Für ihre neue Produktion „Identità – Pellegrinaggio all´amore“ konnte Yvonne Pouget eine erlesene Besetzung aus international renommierten Künstlern unterschiedlicher Sparten gewinnen. Gemeinsam mit der Bildhauerin Hélène Yousse (Spanien), dem Sänger und Schauspieler Pino De Vittorio (Italien), dem Chitarra-Battente-Virtuosen Marcello Vitale (Italien), der Tänzerin Katharina Neuweg und dem Tänzer Damien Liger entführt sie ihr Publikum in eine berauschende Welt der Sinnlichkeit. In eine tiefgründig-geheimnisvolle Theaterwelt in der die Seele Süditaliens atmet, in der logisches Verstehen überflüssig ist, wo der Klang zur Gebärde und die Aufführung zu einem Raum wird, in den das Publikum eintritt und spürt.
Inhaltlich setzt Pouget dabei die Erforschung ihrer zwei Hauptthemen fort: Die Möglichkeit eines erfüllten (Über)Lebens unter den erschwerten Bedingungen von Gewalterfahrung, Trauma und Tod.
Grundlage von „Identità – Pellegrinaggio all’ amore“ ist das komplexe Thema der Weitergabe von Kriegstraumata an die nächsten Generationen. Zur Umsetzung für ihr „rituelles Theaterlabor zur methaphysischen Wunscherfüllung und Reinigung“ wählt die Choreographin die ursprüngliche Bedeutung einer Pizzica Tarantella, die sie von einem individuellen Schicksal auf eine ganze Generation ausweitet.
Als allegorische Personifizierung einer kriegstraumatisierten Seele, erschafft Pouget als Ausgangspunkt ihrer Inszenierung die Figur der ‚Fanciulla’ – die „Tarantata“ der Wallfahrt für die Liebe. Pouget versteht die ‚Fanciulla’ als „methaphysische Stellvertreterin“ der kriegsgeschädigten Menschen in der Generation ihrer Großeltern und Eltern. In dieser Stellvertreterin verdichtet Pouget die lebenslange Sprachlosigkeit und das Abspalten-müssen einer verstummten Generation.
„Menschen, die mit ihrer Hilflosigkeit allein gelassen werden, verleugnen und verdrängen ihr Erleben und kapseln es ab. Daraus entstand bei vielen Kriegskindern eine Unfähigkeit, ihr Schicksal als Teil ihrer Identität gefühlsmäßig anzunehmen. Sie entwickeln sich gleichsam zu stummen Zeugen der eigenen Geschichte. Es sind Menschen, die ihre Biografie als Kinder der Kriegs- und Nachkriegszeit kennen, aber keinen gefühlsmäßigen Kontakt dazu haben. Sie kennen die Fakten, wissen um die Geschehnisse, aber sie erleben sie so, als hätten sie keine besondere Bedeutung. Dieser Komplex ist in den meisten Leben nicht wirklich zu bewältigen und bewirkt die Unfähigkeit zu trauern. Er bildet den Kern dafür, dass die Not vieler Kinder der damaligen Zeit nicht gesehen oder schlicht verleugnet wurde. Was nicht gespiegelt und nicht verstanden wird, wird letztlich abgespalten oder verdrängt. In der Verdrängung können Entbehrungen und Verzicht aber nicht betrauert werden.“ × Zitat aus der Abschiedsvorlesung von Michael Ermann anlässlich der Entpflichtung als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 20. März 2009
Auch in Italien halten viele Pizzica (Tarantella) für etwas Simples, für einen Volkstanz. In der apulischen Region Salento war die ursprüngliche Bedeutung der Pizzica jedoch eine völlig andere, und hatte nichts mit einem Touristen- und Medienereignis, einer „Nacht der Tarantella“, zu tun. Eine „Tarantata“ ist heute eine Frau mit akuten Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Beim Auftreten solcher massiver Symptome würde man der Notarzt rufen, bis vor ca. 50 Jahren haben die Menschen im Salent „die Musiker“ geholt.
(07.10.2009)