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Uraufführung von Marco Goecke im Red Tower am Julierpass

Der Komponist Kiril Richter und der Choreograph Marco Goecke haben für das Stück „Seven Ages“ in Anlehnung an die sieben Lebensalter des Menschen nach Shakespeare erneut zusammengefunden. Nachdem der Schauplatz für ihre letzte Zusammenarbeit ein entkerntes, vor dem Abriss stehendes Hotel war, konnte mit dem Red Tower ein noch einzigartigerer Ort gefunden werden, dessen Tage ebenfalls gezählt sind. Zeit und Vergänglichkeit sind Themen, mit denen sich beide Künstler unabhängig voneinander immer wieder beschäftigen, und von dort ist es nicht weit zur Frage nach dem Sinn des Lebens. Richter hat eine siebenteilige Suite für Klavier, Violine und Cello komponiert, eine Musik, deren Klänge diesen existenziellen Themen durchaus auch einen ironischen Unterton geben, in der Annahme, dass dies auch Shakespeares Absicht gewesen sein könnte; eine symbolträchtige Musik, die als zyklische Komposition aufgebaut ist. Goeckes einzigartige Bewegungssprache - oft schnell und nervös, mal flatternd mal zuckend, dabei stets höchst präzise und emotionsgeladen - orientiert sich an Richters musikalischer Struktur; das bedeutet aber nicht, dass die Musik Schritt für Schritt in Bewegung umgesetzt würde, vielmehr bilden Musik und Tanz eine Synthese. Die Tänzerin Anne Jung ist für diesen Solotanzabend nicht nur wegen ihres technischen Könnens, sondern vor allem auch wegen ihrer dramatischen und theatralen Ausdrucksfähigkeit die ideale Besetzung.

Kritik aus dem Tanznetz:
https://www.tanznetz.de/de/article/2023/das-leben-ist-kein-langer-ruhiger-fluss-0

Das Leben ist kein langer, ruhiger Fluss

„Seven Ages“ von Marco Goecke beim Origen Festival Cultural

Kunst transzendendiert im Idealfall unser Dasein. Der Komposition von Kirill Richter und der Choreografie von Marco Goecke gelingt das auf beglückende Weise.
Leslie Krumwiede
Savognin, 06/03/2023

Selbst in einer Spielstätte, die ohne Vorhang auskommt, wird der letzte fallen. Im Julierturm wird es Ende August so weit sein. Danach wird das Origen Festival Cultural im schweizerischen Graubünden auf diesen so besonderen Theater-Kraftort inmitten rauer Natur verzichten müssen, da der Turm im Herbst wie geplant abgebaut werden wird. Aber vielleicht trägt auch seine flüchtige, dann knapp sechsjährige Existenz zu seiner Magie bei. Das letzte Winter- und kommende Sommerprogramm steht aus naheliegendem Grund unter dem Motto „Zeit“.

Auch Kirill Richter hat sich dieses großen Themas in seiner jüngsten Komposition „Seven Ages“ angenommen, seit 2019 bereits sein drittes Werk, das beim Origen Festival Cultural Premiere feiern durfte. Das Festival bietet dem äußerst erfolgreichen jungen russischen Komponisten und Pianisten momentan ein Refugium zum Leben und Arbeiten. Mit der Violinistin Alena Zinovieva und dem Cellisten Avgust Krepak tritt Richter schon länger gemeinsam auf; mit Marco Goecke ist er seit vergangenem Jahr künstlerisch verbunden. Kirill Richter schreibt im Programmheft über Marco Goecke, er halte dessen Arbeit für das Beste, was dieser Musik in ihrer choreografischen Ausgestaltung passieren konnte. Goecke schätzt umgekehrt an Richters Musik, dass sie sowohl eigenständig und kraftvoll ist als auch dem Tanz Raum gibt. Für seine neue Choreografie hat er in Anne Jung eine charismatische Tänzerin gefunden.

Kirill Richter hat seine Komposition nach einer intensiven dreimonatigen Schaffensphase erst kurz vor der Premiere vollendet, man wünscht sich eine baldige Aufnahme. Der berühmte Monolog von Jacques im 2. Akt von Shakespeares „Wie es Euch gefällt“ lieferte ihm die thematische Grundlage wie auch die siebenteilige Struktur der Suite:

Die ganze Welt ist Bühne
Und alle Frauen und Männer bloße Darsteller.
Sie treten auf und gehen wieder ab,
Sein Leben lang spielt einer manche Rollen.
Durch sieben Akte hin.

Richter bildet mit dieser Komposition das Mysterium des Lebens ab, das sich zwischen Geburt und Tod entfaltet; er vertont Shakespeares Metapher mitreißend als Sinnbild menschlichen Lebens.

Die sieben Lebensphasen, die das Trio auf diesem Weg des Entstehens und Vergehens musikalisch durchschreitet, nimmt die Choreografie in dem von schwarzem Schnee bedeckten äußeren doppelten Bühnenrund auf, in und auf dem sich Anne Jung wie im Rad der Zeit bewegt. Und, wie Intendant Giovanni Netzer es bei seiner Einführung treffend beschrieb: „Sie schont sich nicht“. Goecke ist ein Meister des Solos und hat in ihr für diese neue Arbeit eine Darstellerin gefunden, die seine Bewegungssprache phänomenal umsetzt. Die Tänzerin muss mit wenig Platz auskommen, aber wie in so vielen seiner Werke schafft Goeckes Choreografie es auch hier, mit einem begrenzten Bewegungsradius und hochkonzentrierter Körperspannung eine große innere Weite zu erschließen. Mit jeder der extrem präzisen, teils flatterhaften Bewegungen, die so charakteristisch sind für seine Werke, stupst Anne Jung die Seele an einer neuen Stelle an. Sie ist ausdrucksstark bis in die Fingerspitzen. Die Rollen, die der Shakespeare’sche Monolog vorgibt – Kind, weinerlicher Bube, Verliebter, Soldat, Richter, Greis und Tod – füllt sie mit der Atmosphäre und den intensiven Emotionen des entsprechenden Lebensabschnitts. Hemd, Maske, Zigarre, Mantel, Stock sind spärliche Requisiten. Im letzten Abschnitt nimmt sie, in schwarzem Mantel und teils auf einen Stock gestützt, im Bühnenrund den Weg im Rad des Lebens zurück, für den „letzten Akt, mit dem die seltsam wechselnde Geschichte schliesst“, der „zweite Kindheit, gänzliches Vergessen, ohne Augen, ohne Zahn, Geschmack und alles“ ist. Dabei rieselt sanft schwarzer, wunderschön beleuchteter Schnee auf die Szenerie, bis sie zusammengesunken sitzt, den Stock zerbricht und die Musik verstummt. Ein Ende, das zu Tränen rührt, weil es auf so poetische und unmittelbare Weise mit der Endlichkeit konfrontiert.

Umfangen wird der Abend von der unglaublichen Natur auf dem Julierpass, die in der einbrechenden Dunkelheit durch die Turmfenster immer wieder an das Ehrfurcht erweckende, nicht fassbare große Ganze erinnert, in dem unser Lebensdrehbuch nur eine winzige Episode ist.

Es ist ein erhabener Moment, wenn Kunst es vermag, für einen Augenblick die Zeitlichkeit zu transzendieren. Mit „Seven Ages“, dieser kongenialen Synthese aus Musik und Tanz, die das Publikum nach einem versunkenen Moment andächtiger Stille mit stehenden Ovationen bedachte, ist dieses auf beglückende Weise gelungen. Schön, dass man diesen Abend im Festivalprogramm nicht missen muss.

Vom 14.04.2023 | Permalink »

9.2.23 - Uraufführung von Marco Goecke beim Nederlands Dans Theater 1 in Den Haag

In The Dutch Mountains

“In The Dutch Mountains” heißt Marco Goeckes neue Uraufführung für NDT, ein Titel, den manche vielleicht von dem Song der holländischen Gruppe „Nits“ kennen mögen, andere wiederum von Cees Notebooms gleichnamigem Roman. Goecke ist mit 17 Jahren in die Niederlande gezogen, wo er zwei Jahre gelebt hat. Seit 2006 hat er hier jedes Jahr mindestens eine Choreographie kreiert. So gesehen, könnte man ihn fast als niederländischen Choreographen bezeichnen. “In the Dutch Mountains” ist sowohl eine Hommage an dieses Land als auch ein Rückblick auf seine bisherigen Arbeiten.
“Die Wahl des Titels hat ein wenig mit dem Song zu tun, den ich früher immer mal wieder gehört habe”, sagt Goecke, nach dem Grund für den Titel seines neuesten Werkes befragt. “Als ich jung war, habe ich immer Herzklopfen bekommen, wenn ich eine Redewendung gehört habe, die ich nicht so ganz verstanden habe.” Und wirklich hat die Kombination der 'Niederlande' mit der Vorstellung von 'Bergen' etwas Rätselhaftes. Der Ausdruck kommt einem Oxymoron nahe, dessen Komponenten in schroffem Kontrast zueinander stehen. Was hat ein Land, das “eigentlich den Fischen gehört”, mit Bergen zu schaffen? Und “wo bleibt die natürliche Vertrautheit mit den großen Fragen und deren tiefe Durchdringung, wenn jemand in einem flachen Ländchen aus Schlamm und Lehm, ohne einen einzigen Berg, ausgebildet wird?”. Beide Zitate sind dem Roman “Nie mehr schlafen” von Willem Frederik Hermans entnommen.
Selbst wenn man die “großen Fragen” auf sich beruhen lässt, reizt das Rätsel doch zur Suche nach verbindenden Elementen. Extreme, wie sie das virtuelle Nebeneinander von Bergen und Deichen heraufbeschwört, hat die niederländische Natur ja durchaus zu bieten: die starken Seewinde, Gewitter, der dramatische Himmel, das Meer mit seinen Gezeiten und Wellenbergen. Eine Natur, die nie stillsteht, immer in Bewegung ist, Bewegung verlangt oder androht und die, um mit ihr leben zu können, das Zusammenwirken von Menschen so notwendig macht wie an wenigen anderen Orten des Planeten. Bewegung, wie sie auch von der extremen Spannung, die der Kombination von Bergen und Seelandschaft innewohnt, hervorgetrieben werden könnte.
In der Tat geht es in diesem Stück – wie in allen Goecke-Werken – um die pure Bewegung und die Begegnung mit und zwischen den Tänzern. In die live vom Orchester gespielte Musik von Bartok (Konzert für Orchester) und Brahms (3. Sinfonie) flicht Goecke zwei Songs von Mortal Coil ein, die einen engen Bezug zum Meer und zur Natur haben: “Song to the Siren” und “Nature’s Way”. Im ersten heißt es an einer Stelle “I'm as riddled as the tide”. Die Bewegung des Wassers, ihr Kontrast mit der Unverrückbarkeit imaginärer Berge, die Transformation dieser Spannung in die Bewegung des Tanzes – Goecke formuliert das Rätsel neu, ohne vorzugeben, es lösen zu können, und verlegt es schließlich ins Innere des Theaters: “Der eigentliche niederländische Berg ist für mich der Ballettsaal. Der Bühnenboden, das ist der 'Dutch Mountain', den man immer wieder erklimmen muss, wenn man ein Stück macht.”

Nadja Kadel
Probenfoto: Tanz: Charlie Skuy; Foto: Nadja Kadel

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Vom 12.02.2023 | Permalink »

9.2.23 - Uraufführung von Marco Goecke beim Nederlands Dans Theater 1 in Den Haag

In The Dutch Mountains

“In The Dutch Mountains” heißt Marco Goeckes neue Uraufführung für NDT, ein Titel, den manche vielleicht von dem Song der holländischen Gruppe „Nits“ kennen mögen, andere wiederum von Cees Notebooms gleichnamigem Roman. Goecke ist mit 17 Jahren in die Niederlande gezogen, wo er zwei Jahre gelebt hat. Seit 2006 hat er hier jedes Jahr mindestens eine Choreographie kreiert. So gesehen, könnte man ihn fast als niederländischen Choreographen bezeichnen. “In the Dutch Mountains” ist sowohl eine Hommage an dieses Land als auch ein Rückblick auf seine bisherigen Arbeiten.
“Die Wahl des Titels hat ein wenig mit dem Song zu tun, den ich früher immer mal wieder gehört habe”, sagt Goecke, nach dem Grund für den Titel seines neuesten Werkes befragt. “Als ich jung war, habe ich immer Herzklopfen bekommen, wenn ich eine Redewendung gehört habe, die ich nicht so ganz verstanden habe.” Und wirklich hat die Kombination der 'Niederlande' mit der Vorstellung von 'Bergen' etwas Rätselhaftes. Der Ausdruck kommt einem Oxymoron nahe, dessen Komponenten in schroffem Kontrast zueinander stehen. Was hat ein Land, das “eigentlich den Fischen gehört”, mit Bergen zu schaffen? Und “wo bleibt die natürliche Vertrautheit mit den großen Fragen und deren tiefe Durchdringung, wenn jemand in einem flachen Ländchen aus Schlamm und Lehm, ohne einen einzigen Berg, ausgebildet wird?”. Beide Zitate sind dem Roman “Nie mehr schlafen” von Willem Frederik Hermans entnommen.
Selbst wenn man die “großen Fragen” auf sich beruhen lässt, reizt das Rätsel doch zur Suche nach verbindenden Elementen. Extreme, wie sie das virtuelle Nebeneinander von Bergen und Deichen heraufbeschwört, hat die niederländische Natur ja durchaus zu bieten: die starken Seewinde, Gewitter, der dramatische Himmel, das Meer mit seinen Gezeiten und Wellenbergen. Eine Natur, die nie stillsteht, immer in Bewegung ist, Bewegung verlangt oder androht und die, um mit ihr leben zu können, das Zusammenwirken von Menschen so notwendig macht wie an wenigen anderen Orten des Planeten. Bewegung, wie sie auch von der extremen Spannung, die der Kombination von Bergen und Seelandschaft innewohnt, hervorgetrieben werden könnte.
In der Tat geht es in diesem Stück – wie in allen Goecke-Werken – um die pure Bewegung und die Begegnung mit und zwischen den Tänzern. In die live vom Orchester gespielte Musik von Bartok (Konzert für Orchester) und Brahms (3. Sinfonie) flicht Goecke zwei Songs von Mortal Coil ein, die einen engen Bezug zum Meer und zur Natur haben: “Song to the Siren” und “Nature’s Way”. Im ersten heißt es an einer Stelle “I'm as riddled as the tide”. Die Bewegung des Wassers, ihr Kontrast mit der Unverrückbarkeit imaginärer Berge, die Transformation dieser Spannung in die Bewegung des Tanzes – Goecke formuliert das Rätsel neu, ohne vorzugeben, es lösen zu können, und verlegt es schließlich ins Innere des Theaters: “Der eigentliche niederländische Berg ist für mich der Ballettsaal. Der Bühnenboden, das ist der 'Dutch Mountain', den man immer wieder erklimmen muss, wenn man ein Stück macht.”

Nadja Kadel

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Vom 12.02.2023 | Permalink »

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