Urauffuehrung von "Fetonte" in Schwetzingen
Annemone Taake
Angela Reinhardt schreibt in der Esslinger Zeitung:
“Brennend setzt der Sonnenwagen die ganze Erde in Brand, als Phaeton die Kontrolle verliert und vom Himmel stürzt: die ultimative Herausforderung für die Bühnenmaschinerie der Barockoper, mit über 400 Statisten in Szene gesetzt bei der Premiere von „Fetonte“ 1768 im Ludwigsburger Hoftheater. Jetzt ziert Niccolò Jommellis Oper ein anderes Theater-Schmuckstück, das Rokokotheater im Schwetzinger Schloss, erbaut nur wenige Jahre vor der damaligen Uraufführung. Die Heidelberger Oper inszeniert dort eine Reihe mit Barockopern und feiert so den 300. Geburtstag des Stuttgarter Hofkomponisten Jommelli.
In Stuttgart war „Fetonte“ vor knapp 30 Jahren in einer Produktion von Axel Manthey zu sehen, und auch die Aufführung im Badischen kommt jetzt nicht ohne württembergische Beteiligung aus. In Szene gesetzt wurde „Fetonte“ nämlich von Demis Volpi, dem Haus-Choreografen des Stuttgarter Balletts, der in seiner ersten Regiearbeit spannende, schöne Bilder findet und, wie die meisten inszenierenden Choreografen, sensibel auf die Musik eingeht. Gemeinsam mit seiner Ausstatterin Katharina Schlipf stellt der junge Argentinier die Einsamkeit des Titelhelden in den Mittelpunkt, der, verunsichert über seine Abkunft und Bestimmung, in Macht- und Liebesintrigen zerrieben wird. Selbst die Götter in ihrem barocken Prunk können mit ihren Weissagungen nichts gegen die dumme Selbstsucht der Menschen ausrichten, eine fatalistische Deutung.
Der Meeresgott Proteo (Philipp Mathmann) lenkt das Geschehen, ein zerzauster junger Künstler, der die barocke Theatermaschinerie anwirft, Kulissen herumschiebt und Seilzüge herunterlässt. Aber die Menschen entgleiten dem Möchtegern-Magier, folgen im holzgetäfelten Regierungskabinett allein ihrem Egoismus. Den weißen Perücken und goldenen Schwingen, der gezierten Handhaltung der Götter stellt Volpi sterbliche Machtpolitiker in Anzug und High Heels gegenüber, unter denen sich Fetontes Mutter Climene (Jeanine De Bique) als starke Regentin sehr selbstbewusst behauptet und dennoch verliert. Inmitten seiner Bücher und Flugmodelle ist ihr Sohn ein weltfremder Streber, der über seiner Liebe zum Fliegen die geliebte Libia vergisst – ein trauriges, zartes Porträt des Countertenors Antonio Giovannini.
Wo Jommellis manchmal ein wenig schematisch gefertigte Barockmusik 1986 in Stuttgart noch mit Tenören und Bässen besetzt war, gibt es in Schwetzingen nur hohe Stimmen, neben drei Damen drei Countertenöre und einen Tenor. Fast allen fehlt es an dramatischer Attacke für ihre virtuosen Koloraturarien, dafür klingen die Duette mit ihren Seufzermotiven oder Engführungen so innig wie die langsamen Arien – geradezu magisch die Szene, wenn die geheimnisvolle, körperlose Stimme Mathmanns hinter der Sonne hervorklingt, die fern in der Tiefe der Bühne aufleuchtet und Fetonte samt seinen klapprigen Stoffflügelchen anlockt. Mit einer fast schon auf Rossini vorausweisenden Dynamik demonstrieren Dirigent Felice Venanzoni und das Philharmonische Orchester Heidelberg, wo die Cantabiles und Strettas in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts ihre ersten Ursprünge nahmen.
Demis Volpi wiederum gelingt die Kunst, die anfangs scheinbar schematisch entworfenen Intriganten in ihren ewig langen Arien als Liebende und Suchende zu zeigen, ohne dabei das Zeitmaß der Barockoper zu zerstören. Seine symbolträchtigen, detaillierten Bilder stellen Verbindungen her, erklären die Figuren fast noch stärker aus ihrer Musik als aus dem Text. Immer stärker hängt eine Melancholie über der Szene, wenn die Agierenden im enger werdenden Bühnenbild zunehmend vereinsamen oder wenn, welch rührender Moment, der junge Fetonte sich sorgfältig mit Sonnencreme einreibt – ein kleines Menschlein voll guten Glaubens, den Kampf mit den Elementen herausfordern zu können. Resigniert bläst der Spielmacher Proteo am Schluss das letzte Licht der verloschenen Sonne aus, eine Kerze, die er anfangs entzündet hatte. Der Stuttgarter Opernintendant Jossi Wieler beklatschte begeistert das Regiedebüt, eine Fortsetzung von Volpis Opernkarriere am Staatstheater erscheint durchaus plausibel.”
(05.12.2014)