"Ein Ballett wie ein Rilke-Gedicht"
schreibt die Westtdeutsche Zeitung am 10. Mai 2015 über Marco Goecke Uraufführung für das Ballett der Deutschen Oper am Rhein; und weiter; "Das Kraftzentrum des kurzweiligen Programms ist das außerordentliche Werk „Lonesome George“ von Marco Goecke, Hauschoreograf am gefeierten Stuttgarter Ballett. Es ist seine erste Kreation für das Ballett am Rhein, und wer mit seinen Arbeiten bislang nicht vertraut war, weiß seit diesem Abend: Goeckes Choreografien sind eine Entdeckung."
Tanz: Nathalie Guth und Christian Bloßfeld
Foto: Gert Weigelt
Lonesome George ist der Name, der einer Riesenschildkröte aus Galapagos gegeben wurde. Bevor George, mehr als hundertjährig, im Sommer 2012 starb, hatte man lange gedacht, dass er der letzte seiner Art gewesen sei. Als Marco Goecke das Stück für Düsseldorf im Herbst 2012 begann, aber dann aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen musste, war noch nicht bekannt, dass es auf einer Nachbarinsel doch noch Artgenossen oder zumindest verwandte Exemplare gibt. So hat sich in diesem Fall die Furcht, das letzte Wesen seiner Art auf Erden zu sein, nicht bestätigt. Und es besteht Hoffnung, dass wir, selbst wenn es einmal nicht danach aussehen sollte, immer noch auf Unseresgleichen stoßen werden.
Marco Goeckes neuestes Werk „Lonesome George“ nähert sich spielerisch der Spannung zwischen Einsamkeit und der Suche nach dem Anderen. Dies geschieht in einer Bewegungssprache, die Goecke seit Jahren zu seinem Markenzeichen gemacht hat und ständig weiterentwickelt: Eine Sprache, die sich vor allem auf die Oberkörper der Tänzerinnen und Tänzer konzentriert, die Beine hingegen in dunklen Hosen verbirgt. Die unglaublich schnellen Bewegungen, die auf den ersten Blick flatternd und zuckend wirken könnten, sind in Wirklichkeit bis ins kleinste Detail choreographisch festgelegt. Anders als „sinfonische“ Choreographen wie zum Beispiel George Balanchine oder Uwe Scholz, versucht Goecke nicht, im Tanz die Musik sichtbar zu machen. Erst während des Choreographierens treten Tanz und Musik in einen Dialog, sodass die Musik die Choreographie zwar letztendlich mitprägt, aber nicht so, dass sie Takt für Takt umgesetzt würde. Bei „Lonesome George“ ist der musikalische Dialogpartner das Streichquartett op. 110 von Dimitri Schostakowitsch, das der Bratscher und Dirigent Rudolf Barschai 1960 in eine Version für Kammerorchester übertragen hat,
Ein weiteres Charakteristikum von Goeckes Arbeiten ist ihr Lichtdesign. Häufig ist die Lichtintensität gering, aber dahinter steht ein ausgeklügeltes Lichtkonzept, das genau auf die Bewegungen der Tänzer abgestimmt ist und mit ihnen atmet. Doch so sehr die Elemente Musik, Licht, Bühne und Kostüme zusammenspielen, für Goecke gilt immer eines: „Für mich steht immer der Tanz an erster Stelle.“
Nadja Kadel
(15.05.2015)