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Marco Goeckes "Nichts" feiert Premiere in Mannheim - 6. Januar 2018

„Nichts“ war das erste Stück, das ich für das Nederlands Dans Theater choreografiert habe. In „Nichts“ empfinde ich alles, was ich schon als junger Mensch, als Student in Holland, gefühlt habe: Die Musik, die ich damals gehört habe, die Rebellion, die damals in mir war, die Sehnsucht nach etwas, der Krieg mit sich selbst und der Wind und die Bäume vor meinem Fenster.
Marco Goecke

Foto: Hans-Jört Michel Tanz: Jamal Callender, Juan Ferre Gomez

Sie flattern, krallen, streicheln, rütteln: Bei Marco Goecke tanzen vor allem die Hände, das ist meist der erste Eindruck, den man von seinen Choreografien mitnimmt. Minutenlang steht der Tänzer am Anfang von „Nichts“ auf der Stelle, nur seine Arme huschen um Kopf und Oberkörper, bevor er irgendwann auch die Beine bewegt. Sekundenlang kristallisieren sich aus dem Bewegungsfluss Bilder heraus: Hände klatschen Applaus, ein Finger zeigt an die Denkerstirn, eine Pistole wird abgedrückt. Introvertiert und minimalistisch in ihrem Bewegungsradius wirken die Solos, die Goecke zu Keith Jarretts sanften, meditativen Klavierimprovisationen fließend in einander übergehen lässt. Kaum merklich wird ein Tänzer des anderen Doppelgänger, in den Duetten entsteht Kommunikation durch Spiegelung oder Parallelen. Wo der Tänzer die Ballerina an der Taille hält oder hochhebt, da berühren sie sich hier kaum, tasten sich ab wie mit Insektenfühlern. Erst zu den lauten, psychedelischen Gitarren-Riffs von Jimi Hendrix werden die Bewegungen extremer und frenetischer, geradezu lasziv wechselt ihre Dynamik zwischen langsam und schnell. Die Körper fragen nicht mehr in sich hinein, sondern geben sich fast lustvoll den Geistern hin, die in ihnen wohnen.

„Nichts“ zeigt sehr direkt, was den Choreografen damals bewegt hat, als er 2008 sein erstes Stück fürs Nederlands Dans Theater schuf, das europäische Flaggschiff des modernen Tanzes. Es war Herbst in Den Haag, deshalb fallen trockene Blätter aus Fäusten, deshalb wogt ein Baum im Wind. Zwei Jahre zuvor hatte Goecke ein Stück mit dem Titel „Alles“ gemacht, choreografiert auf eine Lesung Ingeborg Bachmanns. Dem Titel nach erscheint „Nichts“ als Gegenstück dazu, als Ergänzung.

Durch das ganze Stück zieht sich das Motiv des Fliegens – anfangs mit nutzlos pumpenden Flügelstummeln aus angelegten Ellbogen, dann befreit dahingleitend auf der ganzen Spannweite der Arme oder in flatternd gekreuzten Händen über dem Kopf. Wir erkennen die Instrumente von Keith Jarrett und Jimi Hendrix im Tanz, klavierspielende Hände, einen rockenden Gitarristen, auch ein Schlagzeug. Und wir sehen wie in jedem Stück von Marco Goecke flüchtige Gedanken aus dem klassischen Ballett aufblitzen: gerundete Arme, einen Pas de chat, die sanften Wellenbewegungen aus „Schwanensee“. All diese Motive aber baut er nicht als bewusste Anspielungen oder Zitate aneinander, sondern sie tauchen im Bewegungsfluss auf wie Traumbilder, wie Erinnerungen. Oft genug wurden Goeckes dunkle Stücke mit Alpträumen verglichen, seine Sprache wirkt oft so, als ob man direkt ins Unterbewusstsein schaut. Wäre man schnell genug, vielleicht könnte man in diesen Choreografien lesen, die durchflirrenden Motive gedanklich verbinden. So bleiben uns die Assoziationen, man muss gewissermaßen die Logik loslassen und die Bilder wirken lassen.

In „Nichts“ kehrt nach dem wilden Jimi Hendrix noch einmal in einem langen Solo die Ruhe von Keith Jarrett zurück, in einer endlosen, sanften Drehung ruht der Tänzer völlig in seiner Mitte. Er verabschiedet sich mit der tiefen Verbeugung des Künstlers vor seinem Publikum, mit der so viele von Marco Goeckes Balletten enden.

Angela Reinhardt

Link zur Reportage über den Abend:
http://www.rnf.de/mediathek/video/buehnenlichter-lets-beat-und-die-regeln-des-sommers/

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(12.01.2018)

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