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„Romeo und Julia“ von Giovanni Di Palma - Uraufführung am 21.11.2013 im Teatro Sergio Cardoso in Sao Paulo

Seine ersten Proben zu „Romeo und Julia“ hat Giovanni Di Palma dem Herzstück des Dramas gewidmet, dem großen Liebes- oder Balkon-Pas de Deux. Aline Campos Ferro Rocha ist seine Julia, Nielson Souza sein Romeo, zwei jugendliche Tänzer, denen man auf Anhieb glaubt, dass sie sich Hals über Kopf ineinander verlieben. Sie überzeugen mit Natürlichkeit in Di Palmas fließender Choreographie. „Es war sehr wichtig für mich, direkt so emotional in dieses Drama einzusteigen“, sagt Di Palma über seine erste abendfüllende Produktion. Bis vor wenigen Jahren stand er selbst als Tänzer auf der Bühne, und in „Romeo und Julia“ hat er schon mit achtzehn Jahren in John Crankos maßgebender Version mitgewirkt.

Foto: Silvia Machado; Tanz: Aline Campos Ferro Rocha und Nielson Souza

Wie Cranko hat auch er seiner Choreographie die Musik von Sergej Prokofjew zugrunde gelegt, diese jedoch stark gekürzt. Was bei Prokofjew als Ballett in drei Akten, zwölf Bildern mit Prolog und Epilog angelegt war, hat Di Palma zu einem Ballett in zwei Akten und 10/11 Szenen kondensiert. Prokofjew hat seine Ballettmusik 1938 komponiert und für eine neue Aufführung in Leningrad 1940 überarbeitet. Das mächtige neoklassische Werk ordnet den Hauptfiguren musikalische Leitmotive zu. Auch deshalb vermittelt sich das Geschehen problemlos: Die Musik kommt der starken gestischen Qualität von Shakespeares Vorlage entgegen, die Kämpfe zwischen den verfeindeten Clans der Capulet und der Montague vermitteln sich auch ohne wortreiche Erklärungen der Standpunkte.

Für seine Neuinterpretation schafft Di Palma die Atmosphäre einer historischen italienischen Stadt in einem heißen Hochsommer, eine gespannte Stimmung, in der die Gemüter sich leicht erhitzen. Das Bühnenbild und die Kostüme von Jérome Kaplan sind ähnlich wie der Tanz bewusst klassisch gehalten. „Es ging mir nicht darum, eine revolutionäre Version der Geschichte zu kreieren“, erläutert der Choreograph. „Was mich besonderst interessiert hat, sind die Motive, die die Personen zu ihren Handlungen verleiten.“

Durch diese genuin dramatische Zugangsweise nähert sich seine Version einerseits stärker an Shakespeares Tragödie an als viele andere „Romeo und Julia“-Ballette. Italien, wo schon Dante die beiden verfeindeten Adelsgeschlechter der „Cappelletti“ und „Montecchi“ in seiner „Divina Commedia“ erwähnt hatte, war auch das Land, in dem ein Choreograph das Werk zum ersten Mal auf die Tanzbühne brachte: 1785 schuf Eusebio Luzzi in Venedig ein fünfaktiges Ballett über Romeo und Julia. Seitdem haben sich Choreographen immer wieder mit dem Stoff befasst, unter anderem Bronislawa Nijinska und George Balanchine, Tatjana Gsovsky, Leonid Lawrowski, Frederick Ashton, John Cranko, Rudolf Nurejew und Kenneth MacMillan.

Andererseits reduziert Di Palma die von Shakespeare erfundenen Hauptfiguren auf das Wesentliche. Der Aspekt der Macht ist nur durch zwei Personen repräsentiert: Für die politische Macht steht Julias Mutter, Lady Capulet, für die geistliche Macht Pater Lorenzo. Von der politischen Macht droht physische Gewalt, hier repräsentiert von Lady Capulets Neffen Tybalt, der sich gleich zu Beginn in einem Schwerterregen eine Waffe verschafft. Der Vertreter der geistlichen Macht, Lorenzo, ist eine Schlüsselfigur, weil sein Handeln von einem moralischen und zugleich politischen Motiv bewegt wird: Er verheiratet Romeo und Julia, weil er dadurch den Streit der Familien beenden will. Es geht ihm nicht darum, zwei Verliebten einen Gefallen zu tun. Dies wäre durch Romeos Verhalten, der anfangs in eine andere Frau (Rosalinde) verliebt war und den Lorenzo daher für sprunghaft hält, auch gar nicht gerechtfertigt. Der Pater möchte mit der Heirat die Voraussetzungen für den Frieden und damit für die Möglichkeit von Politik schaffen.

Diese Motivation Lorenzos und das unvorhergesehene Scheitern seines Planes werden in Di Palmas Choreographie ausdrücklich gezeigt: Man sieht wie der Bote, der Romeo über den nur fingierten Tod Julias hätte informieren sollen, fast zufällig abgefangen wird. So wird deutlich, warum das Kalkül des Paters nicht aufgeht, denn Romeo und Julia sterben. Aber dennoch wird gerade durch das Liebesopfer des Paares am Ende zumindest die Möglichkeit für eine Versöhnung zwischen den verfeindeten Parteien geschaffen.

Di Palmas Choreographie kommt Shakespeares Drama auch deshalb entgegen, weil dieses den ewigen Gegensatz zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, in der es lebt, zum Thema macht. Gerade hierin liegt die spezifische Eignung von „Romeo und Julia“ für das Ballett, denn in kaum einem anderem Stoff fügt sich das Wechselspiel zwischen Solopartien und Corps so kraftvoll zu dem von der Geschichte inszenierten Antagonismus von Individuum und Gesellschaft. Der Tanz vermittelt diese Spannung physisch. Er bedarf der Sprache nicht.

Nadja Kadel

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(11.11.2013)

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