Uwe Scholz' "Zweite Sinfonie" und Marco Goeckes "Suite Suite Suite" feiern am 8. Juni 2012 Premiere mit dem Kroatischen Nationalballett in Zagreb.
Enstudiert wurden beide Produktion von Giovanni Di Palma, der ehemals nicht nur beide Ballette getanzt hat, sondern für den Marco Goecke auch eine Rolle in "Suite Suite Suite" kreiert hat.
Schumanns "Zweite Sinfonie" gehört zu den beliebtesten Stücken von Uwe Scholz und wurde in den vergangenen Jahren bereits in Tallinn, Istanbul und Bratislava einstudiert. Der Tanzpublizist Volkmar Dräger schreibt über das Werk: "Was der hypersensible Romantiker Schumann an verzweifeltem Getriebensein unter Qualen aus sich herausgepresst hat – Scholz übersetzt es in die sanfte Erzählung um zwei Seelen. Rangen in der Brust des Komponisten Florestan und Eusebius doppelgängerisch miteinander, führt der Choreograf ein weibliches, beinah siame-sisches Zwillingspaar ein. Ihr Freud und Leid, Glück und Kampf ist Thema der viersätzigen Choreografie. Sie verflicht zwei Solo- und zehn Gruppenpaare in Zusammenklang mit der Musik in eine bei aller Gefühligkeit maßvolle Tanzkomposition mit durchsichtigen Raummustern und sinnträchtigen Bewegungsmotiven. Liebe mit ihrer Versonnenheit, ihrem gegenseitigen Einverständ-nis bildet den Kern, nicht jedoch schrankenloses Verlorensein. Der Menschenfröhlichkeit mischen sich auch tragische Töne bei, Fröhlichkeit indes triumphiert."
Marco Goeckes "Suite Suite Suite" (zum zweiten bis fünften Satz von Bachs Orchestersuite Nr. 4 D-Dur BWV 1069) wurde nach seiner Uraufführung 2008 in Leipzig zunächst 2010 vom Rotterdamer Scapino Ballet übernommen, bevor das Kroatische Nationalballett auf das Werk aufmerksam wurde.
Goecke geht es nicht darum, Musik in Schritte umzusetzen, er stellt seinen Tanz zur Musik. Das heißt aber nicht, dass das musikalische Element für ihn unwichtig wäre. So wählt er in den Proben nicht selten Worte und Bilder, die sich mehr auf Musik und Akustik beziehen als auf das Visuelle: Zu einem Tänzer sagt er “the Port de Bras should look louder”, dem Tänzer eines Pas de Deux empfiehlt er zum Umgang mit der Partnerin: “do this movement as if you played her like an instrument”.
Inspirationsquellen sind für Goecke auch einzelne Begebenheiten aus dem Leben von Johann Sebastian Bach, oftmals kleinere Ereignisse oder Tatsachen, die für die gängigen Biographien unbedeutend erscheinen. Zum Beispiel überraschen den Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts die Wegstrecken, die Bach in jungen Jahren meist nicht per Kutsche – das hätte er sich gar nicht leisten können – sondern zu Fuß zurückgelegt hat, um sich zu bewerben, Künstler zu treffen oder sich neues Wissen anzueignen: 40 Kilometer von Ohrdruf nach Eisenach und zurück, 350 Kilometer von Ohrdruf nach Lüneburg, 180 Kilometer von Lüneburg nach Celle und so weiter.
Ein anderes, letztlich fatales Ereignis für Bach war eine Augenoperation in seinem letzten Lebensjahr. Sie wurde von einem renommierten Okulisten durchgeführt, der dem armen Patienten zur Vorbereitung kochend heiße Äpfel auf die Augen legte, um die Hornhaut aufzuweichen. Anschließend wurde Bach auf einem Stuhl festgebunden und gänzlich ohne Betäubung operiert. Ziel war, die vom Star getrübte Linse zu verschieben und dann durch eine starke Brille zu ersetzen. Das gelang hier allerdings erst nach dem zweiten Versuch: Tatsächlich konnte Bach konnte wieder sehen, als er sich nach Monaten völliger Dunkelheit die Binde von den Augen riss. Doch noch am selben Tag erlitt er einen Schlaganfall und starb wenige Tage später.
Es sind solche Begebenheiten des Alltags, die für die Entstehung von Goeckes Arbeiten besondere Bedeutung bekommen. Aus dem Anekdotischen schöpft er seine Assoziationen. Nun ist es allerdings nicht so, dass diese dem Leben abgeschauten Szenen in seinen Choreographien einfach nacherzählt werden sollen. Sie werden eher dazu verwendet, um durch sparsame Anspielungen eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen, in der der Tanz seine alles beherrschende ästhetische Funktion entfalten kann. Goeckes Bewegungen sind ähnlich genau ausgearbeitet wie Bachs polyphone Sätze, aber sie behalten gegenüber der Musik ihre Autonomie. Stellenweise wird Bachs Orchestersuite sogar durch andere, auf der Bühne erzeugte Geräusche verfremdet. Nichts läge Marco Goecke ferner, als die Bachsche Musik eins zu eins zu vertanzen. Das geschieht weder im Hinblick auf den Rhythmus noch auf der Ebene der musikalischen Struktur der einzelnen Tanzsätze. Und doch gewinnt man den Eindruck, dass diese Choreographie zusammen mit der Musik eine unerhörte Synthese bildet.
Foto: Kroatisches Nationalballett
Tänzer: EDGAR CASTILLO, MAI KAGEYAMA, GUILHERME GAMEIRO, PAVLA
MIKOLAVCIC
aus der Choreographie “Zweite Sinfonie” von Uwe Scholz
(08.06.2012)